Staind (Hamburg, 2001)

Richtiges Marketing / Falsche Zielgruppe

 

 

Vorgeschichte: Es war der einzige Gig in Deutschland. Nach einem Auftritt bei dem diesjährigen Bizarre-Festival, der vom Publikum überschlagend gefeiert wurde, war es an der Zeit, die CD zu promoten. Und welch anderes venue als das gemütliche "Grünspan" (das schon für ganz andere überraschende Gigs, u.a. REM gesorgt hat) kommt da schon in Frage ?!

 

Gesponsert und promoted wurde das Konzert von dem eher mainstreamorientiertem NDR2. Geworben wurde dabei mit der eher sanften und leichtverdaulichen aktuellen Single "It`s been awhile" (die übrigens nur in der noch seichteren Akustikversion rauf und runter gespielt wurde).

 

Dementsprechend fiel dann auch zum Teil das Publikum aus. Der eine Teil (die Sorte lange Haare, Kapuzenshirts und Piercing) schien da schon zu wissen, was da auf sie zukomme, der andere Teil (eher ne Bon Jovi-Platte im Regal) schien sich in seiner Haut im Verlauf des Konzertes nicht so gaanz wohl zu fühlen. "Richtiges Marketing bei der falschen Zielgruppe" würde ich da dem NDR unterstellen". Aber mehr dazu später.

 

Zum Konzert: Die Schlange war groß, und es wurden auch noch Karten gesucht. Ich musste meine so wohlbehütete Karte (ich war richtig gespannt auf das Konzert) vor ein paar attraktiven weiblichen Fans verstecken, die sichtlich erbittert nach Karten "bettelten". Bastian (der mich begleitete) schien schon langsam schwach zu werden, aber hatte wohl aufgrund der Tatsache, dass ich ihn eingeladen hatte, die Karte auch in der Tasche stecken lassen. Er hatte sich wahrscheinlich schon Wangen-Küsschen oder mindestens eine Umarmung als Dankeschön erhofft. Sei es drum! Ich gab ihm noch ein Bier aus.

 

Wir also ab in die Schlange und hinein ins "Grünspan". Drinnen angekommen die übliche Rockkonzertatmosphäre. Zigarrettenqualm, Waldgeruch und alternative Rockklänge aus den Boxen. Dazu Bier in Massen, Kopfgenicke und erwartungsvolle Gespräche unter den Anwesenden.

 

Das Konzert ging dann schließlich los. Keine Vorgruppe, kein großes Aufhebens. Die Band fing nach einem eher unauffälligem Erscheinen auf der Bühne einfach an, zu spielen. Der eingefahrene NDR 2-Hörer erschrak wohl bei den ersten Tönen. Der Gig wurde mit einem härteren Nu-Metal-Trash ähnlichem Song eingeleitet. Der introvertierte Sänger Aaaron Lewis gröhlte regelrecht in sein Mikrophon als wolle er sich jeden Kummer aus der Seele schreien. Dazu heftiges Gitarrengeschramm und pochende Drums. Man konnte nicht unbedingt sagen, dass der Sound zu leise war.

 

Nach ca. 20 Minuten dieser Musikrichtung schien sich so mancher in die Irre Geleitete zu fragen, wann denn die "Vorgruppe" endlich fertig sei. Als dann aber die E-Gitarre gegen eine Akustikgitarre getauscht wurde, Aaron sich auf einen Hocker setzte und die ersten Töne von "It`s been awhile" einsetzten, schien sich Erleichterung im Raume breit zu machen.

 

Aber zu früh gefreut. Nach dem toll arrangierten Song ging es wie bei einem Raketenstart direkt ab in die harten Ebenen des Nu-Rock zurück. Die Band war echt vielseitig, was wahrscheinlich nur den "einen Teil" des Publikums erfreute. Einige drehten mit den Augen und schienen wiederholend in immer geringeren Abständen in Richtung Ausgang zu schielen. Doch die Blöße wollte man sich dann wohl doch ersparen. Sie wurden dann aber ein wenig belohnt. Der Klassiker "Outside" wurde in seiner ursprünglichen Akustikfassung alleine von Aaron vorgetragen. Das hatte nun auch den letzten Zweifler überzeugt.

 

Es gibt dieser Tage noch junge Rocksänger, die richtig singen können. Die Stimme ging einem runter wie Öl. Päarchen fingen sich zu küssen an, die Headbanger und Stagediver in den ersten Reihen erholten sich von der ersten harten Phase und kamen zurück in den von Liebe erfüllten Raum. Einer der besten Songs der Rockgeschichte, der die Band schließlich auch berühmt gemacht hat, nachdem er in der Vergangenheit des Öfteren, u.a. bei einem Limp Bizkit-Konzert unter den Fittichen von Fred Durst, vorgetragen wurde. Jedenfalls kannten viele den Text und sangen (nun) befreit mit.

 

Nach einigen weiteren guten Songs, die dann im Anschluß folgten, war das Konzert dann aber auch schon nach ca. 60 Minuten zu Ende.

 

Die Band verschwand so schnell wie sie gekommen war. Der "eine Teil" schien empört, der "andere" erleichtert.

 

Ein wenig länger hätte das Konzert schon sein können, wenn man bedenkt, daß die Band immerhin schon zwei Alben herausgebracht hat. Aber man sollte es wohl eben als einen Promo-Gig für das aktuelle Album betrachten. Mir jedenfalls gefiel das Konzert. Die Band stand hinter ihrer Musik. Der Sänger sang und "schrie" voller Leidenschaft, der Gitarrist (übrigens in den Staaten ausgezeichnet mit dem Award des besten Nachwuchsgitarristen) überzeugte mit seinen Riffs und melodiösem Gezupfe. Der Bassist und gleichzeitig Backgroundsänger machte seinen Job und der Drummer war nicht nur Begleitung. Vier Jungs die nicht viel zwischen den Songs reden, dafür aber ihre (harte) Musik sprechen lassen.

 

Man hatte - ausgehend von der Band - zwar das Gefühl, nicht anwesend zu sein, und unsichtbar einem Rehearsal beizuwohnen, aber wenn man den Worten der Band "wir leben für Konzerte" Glauben schenken darf, dann spielen sie nicht nur für sich selbst. Ein wenig mehr Worte zum Publikum als "Hello" oder "the next Song is..." könnte es aber schon zukünftig gebrauchen...

 

Was die Musik angeht gehören sie wirklich zu den Besten die sich da momentan auf dem Nu-Rockmarkt tummeln. Live haben sie sich bewiesen und das Potential zum Songschreiben haben sie bereits abgerufen. Muss Produzent und Kumpel Fred Durst nun um seinen Nu Metal-Thron fürchten?! Es wäre nicht ganz undenkbar, gerade wo ihn jetzt der wohl talentierteste Musiker seiner Band Wes Borland verlassen hat.

 

Jedenfalls hat Staind (insbesondere mit dem Sänger) eine große Zukunft vor sich, allein schon deswegen weil sie u.a. auch mit ihren vorzuweisenden daheimbehüteten Familien sehr bodenständig scheinen und ganz und gar von dem Rockklischee (Zimmer zertrümmern, Drogenexzesse etc.) abzuweichen scheinen.

 

Das Konzert wurde übrigens aufgezeichnet und bei Viva (leider unvollständig, wie soll es bei diesem "Musik"-Sender auch anders sein) ausgestrahlt.

 

(a.j.)

 

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