Martha Wainwright
Zwei Wege boten sich mir dar...
... und ich ging den, der weniger betreten war.
Es scheint tatsächlich langsam Schule zu machen, gute Künstler in einer trauten Wohnzimmeratmosphäre auftreten zu lassen.
Ähnlich wie bei Königwerq, neulich im extrem kleinen Hamburger Logo, hat sich auch an diesem Abend im etwas räumlicheren Grünspan (3. Dezember 2005) wiederum nur eine zweistellige Anzahl - etwa 80 - Interessierter zusammengefunden, um sich der aufwühlenden Musik der kanadischen Newcomerin Martha Wainwright (29, Schwester von Kritiker-Darling Rufus Wainwright) zu frönen. Fast wären´s sogar nur 79 gewesen.
Eigentlich sollte der Lone Reviewer ja nun schon ein viertes Mal ein Ticket für eines seiner festen "gig-abonnierten" Lieblingsbands namens Starsailor in den Händen halten, wäre da den Engländern nicht ein kleiner Fauxpas mit dem Album-Release von On The Outside unterlaufen. Ein Album, das nun leider nicht hätte austauschbarer ausfallen können und dem es, meiner Meinung als Love Is Here-verwöhnten Fan nach, an jeglicher Daseinsberechtigung mangelt und das frühzeitig wertvoll-gesetzte starsailorische Prädikat beleidigt.
Richtig schwer gefallen ist es mir, eine Entscheidung zu treffen: "Gehe ich erneut zu den damals zu Debut-Zeiten so vielversprechenden Starsailor? Gebe ich ihnen eine Chance,- da sie live sicherlich wieder ganz anders klingen; diese neuen Songs des dritten Non-Werkes?!
Oder aber fürchte ich mich vor einem Abend ohne jeglicher Überraschung, ein Abend der eingelebten Tradition sozusagen?!?.
Ich FÜRCHTETE mich.
"Sieh her, dieser Weg ist noch wenig betreten, nimm diesen hier!", sagte Kobold Wally zu mir.
Zum Glück kam auf meiner grübelnden, einsamen Reise, bei dieser höchst unfeinen Wegesgabelung namens Ratlosigkeit mit den zwei Schildern "Boykott" oder "Starsailor-Konzert", plötzlich ein kleiner, hilfreicher Kobold namens Wally Whitman daher;- in seiner Hand ein Musikmagazin haltend, welches mich auf integrierter Beipack-CD mit einem Song einer Interpretin beglückte, die sich mit ihrem Liedgut prompt in die Top 10 meiner persönlichen All Time Female Voices-Songs gleich einen Platz zu reservieren wusste.
Der (dem eigenen, abtrünnigen Vater gewidmete) fantastisch eingesungene Song hieß Bloody Mother F***ing A**hole, die feine Künstlerin besagte Martha Wainwright.
Aber was hatte nun Tochter und Schwester Wainwright mit Starsailor zu tun?
Nunja, der Apfel fiel am 03.12.2005 nun wahrlich nicht weit vom Stamm. Näher verdeutlicht: Es fanden um 19 Uhr zwei Konzerte in unmittelbarer Steinwurfes-Nähe in der Straße der "Großen Freiheit" zu Hamburg statt. Das eine Konzert, sollte ein überschaubarer Abend in Hausnummer 36 mit Altbewährtem aber ohne Überraschungen werden, das andere in Nr. 58 (dem Grünspan nämlich) wird hiermit - mal dem Bericht vorweggenommen - das Prädikat "äußerst wertvoll" verliehen!
Ich kaufte mir also,- glücklich über die nun erleichterte Entscheidung, und darüber eine treffende Ausrede für den Nichtbesuch des Sternensegler-Gigs gefunden zu haben -, ein wesentlich (!!) günstigeres Ticket für Martha Wainwright und war voller freudiger Erwartung ob der Umsetzung ihres 8 Jahre lang erarbeiteten Debutalbums gleichen Namens: Eine Sammlung interessant komponierter und hinreißender Songs, die ihr genießerisches Potential erst beim wiederholten Hören entfachen,- aber dann mit ach soviel mehr Bravour!
Zum Konzert:
Eigentlich wollte ich diesmal den Support (gegen 19 Uhr) überspringen und erst eine Stunde später im Grünspan auftauchen. Zum Glück hatte ich mich gegen Nachmittag doch noch einmal näher über Teddy Thompson informiert und auch zwei feine Songs probegehört.
Der Lone Reviewer schwang sich also mit seinem Hintern von der fesselnden Couch aus dem Hamburger Osten hoch, zog sich an und machte sich schnurstracks auf den Weg den verheißenden neuen Songwriter einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Der Begriff "Support" machte an diesem Abend mal wieder seinem bedeutenden Inhalt alle Ehre.
Songwriternachwuchs Teddy Thompson aus New York City, dessen saubere, country-angehauchte Stimme irgendwo zwischen Vince Gill, Raul Malo und Garth Brooks gastiert und dessen begleitendes Gitarrenspiel, eines der besseren war, sollte später im Wainwright-Rahmen noch desöfteren seinen Einsatz finden und so den Abend als Teil des Ganzen vollmundig abrunden.
Da musste ich doch leicht schluckend von meinem Handy,- auf dem ich gerade noch eine Nachricht von Lone Reviewer Stefan (der an diesem Abend mit einer netten Frau verabredet und daher begründet verhindert war) zu lesen hatte - aufblicken, als Teddy zum ersten Mal in die Saiten griff und seine klaren Vocals den kleinen Saal um Einhalt geboten. 36 akustische Minuten lang eingehende Melodien und herzerfüllender, nicht zu aufgesetzter Pathos. Der Gedanke an die unweiten Starsailor in Hausnummer 36 (Zufall?!?) war nahezu wie weggefegt.
Die Zuschauerzahl bewegte sich - zu diesem Momentum in alle dunkle Gefilde des Raumes verteilt - zwischen 30 und 40, was Thompson am Ende seines Auftritts mit der Bitte kommentierte, dass ein jeder das nächste Mal doch bitte jeweils 10 weitere Leute mitbringen solle. Genug Platz war ja noch vorhanden.
An die 80 Leute wurden es dann, als Martha Wainwright und Band die Bühne gegen punktgenau 20 Uhr betraten. Die Leute erhoben sich nun auch aus den hintersten Ecken von ihren plüschigen Sesseln, um sich nach vorne vor die Bühne zu stellen.
Es folgte ein 110minütiges kurzweiliges Paket, in dem zahlreiche, abwechslungsreiche Dinge verpackt und verschnürt waren. Das Schöne daran, es wirkte alles sehr improvisierend und wenig vorweggenommen abgestimmt.
Zwischendurch wurde von Martha schon einmal die Zigarette eines Besuchers für ein paar Züge zur Entspannung entliehen und eine besonnene Pause eingestreut, um die Sinne zu schärfen und sich emotional - mit den Besuchern zusammen - auf den nächsten Song-Block vorzubereiten,- man nahm sich Zeit. Kein Konzert, das nach Schema F ablief, sondern in Form eines kleinen Privatkonzerts Raum für Anekdoten, Geschichten und Witzeleien ließ.
Einmal wurden über die Köpfe hinweg vier frische Bier an der Theke bestellt, die nach anfänglicher Suche dann ein freiwilliger, älterer Konzertbesucher - mit Pudelmütze und Mantel bekleidet (?!) - auf mehreren Botengängen auch ihren Weg zur dankenden Band fanden. Martha gab dem Herrn beim zweiten Gang eindringlich mit auf den Weg: "ah...but don´t pay!".
Ein anderes Mal klingelte während einer Ballade im Hinterraum des Grünspans das Telefon, was Martha mit in den Lyrics eingebauten Worten abwimmelte: "...I´m on stage, I call you back later!".
Als Running-Gag, spielte der Bassist mit einer knallig-leuchtenden, mit Eurodance-Klängen nervenden Kinder-Rassel herum, die Martha irgendwo auf Tour ergattert hat, ihren verborgenen Platz aber eigentlich immer im Backstagebereich vorgesehen hatte. Ein gelungenes Fressen, um Martha damit etwas aufzuziehen und bei Laune zu halten.
Überhaupt kam Martha Wainwright bei näherer Betrachtung ihrer oft klagenden Songtexte an diesem Abend überraschend positiv herüber. Lockerheit, Humor und Schlagfertigjkeit im Gespräch mischte sich mit Ausdruck, Eleganz und Toughness in ihren Songs, die in ihren Kompositionen ähnlich mutig anmuten wie etwa bei einem solo agierenden Chris Robinson.
Neben zahlreichen Solonummern an der Akustikgitarre, formte die vierköpfige Band mit Drums, Keyboards, Bass und Gitarre Songperlen, die man in diesem Stil auch schon bei einem Zelmani-Konzert genießen durfte. Hinzu kamen chansonartige Stücke, mal französisch mit Dis Quand Reviendras-Tu? als dritte Zugabe, mal amerikanisch mit u.a. Bye, bye Blackbird, die im Publikum nachhaltig Begeisterungsstürme auslösten, da man solche Songs derart vorgetragen heutzutage wohl nur noch in alten Film Noirs vorfindet.
Ein weiterer Baustein der Setlist wurde durch brachialere Stücke wie Ball & Chain gesetzt, die vom Sound her etwas laut und in der instrumentalen Abstimmung leicht breiig daherkamen, aber durch Martha´s einnehmende vocals gekonnt zurück zu hörbarem Gut konvertierten..
Martha besitzt eine dieser seltenen gebrochenen, heiseren Stimmen, die sich zunächst behutsam öffnet, dann aber ausbricht und vulkanartig Feuer entfacht, so dass der Konzertbesucher förmlichst gezwungen ist, mit den Augen an ihren Lippen zu verweilen und nicht mit den Gedanken abzuschweifen, da man sonst erschrickt, ob dieser gewaltigen Wucht, die ihre Stimme hin und wieder emporbringt.
Wahrlich eine Stimme mit Wiedererkennungswert, die sich auf CD zwar schon bemerkenswert hervorhebt aber erst live so richtig zu voller Blüte entfalten kann. So störten auch die vielen akustischen ruhigen Solophasen nicht. Wenn man diese weit reichende Stimme hat, kann man sich einige Längen während eines Konzertes leisten! Stevie Nicks, Janis Joplin, Edith Piaf, Marlene Dietrich - nur vier der extrem raren Sorte Sängerinnen, die mit unserer heutigen Wainwright bluts- oder meinetwegen auch seelenverwandt sein könnten.
Unter den heutigen Female Voices zähle ich Martha Wainwright derzeit jedenfalls zu den interessantesten Charakteren, die man zwingend im Auge behalten sollte.
Beachtlich ist ferner, dass Martha es schafft, mit nur einem Album 110 Minuten Material darzubieten. Die Setlist reichte von schönen Coverversionen mit u.a. Leonhard Cohen´s Tower Of Songs, Warren Zevon's I Was In The House When The House Burned Down, über ihre Bonustracks der europäischen Special Edition-CD mit u.a. ihrem Duett Bring Back My Heart (bei dem nun Teddy Thompson ihren Bruder Rufus gekonnt vertrat), bis hin zu neuem Material wie dem nach ein wenig Springsteen klingenden Jesus & Mary, bei dem das überschaubare Publikum im Refrain mit einem gewöhnungsbedürftigen aber zur allgemeinen Belustigung beitragendem Indianerschrei integriert wurde.
Überhaupt fühlte sich Wainwright in diesem persönlichen Ambiente richtig wonnig aufgehoben und mochte garnicht so recht mit dem Gig abschließen: "Lovely here!" sagte sie und erkundigte sich nach Sehenswürdigkeiten der Stadt Hamburg, während sich ihr Bassist mit einer anderen Zuschauerschar über die korrekte Bezeichnung der Hamburger Einwohner austauschte: "Hamburgers, Hamburgerettes, Hamburgerers?!".
Ja ja, die Wainwright-Band, locker und fröhlich, bodenständig und austauschfreudig, dabei aber hingebungsvoll und professionell in ihrer Musik. "...now we go back to music,- we´re no comedians, but sometimes we wish we are!" spaßt sie. Bei dem Kracher Bloody Mother F***ing A**hole wünschte ein jeder, dass Martha sich ihren Wunsch am besten schnellstens in ihre mittlerweile herzhaft zerzauste Frisur steckt und weiterhin nur noch Musik mit einem derartig gefühlsartigen Ausbruch und emotionaler Stärke versieht, wie speziell in diesem Song am heutigen Abend beispielhaft vorgetragen
Fazit:
Charme, Bodenständigkeit, Witz und Gebrechlichkeit mischt sich mit Ausdruck, Toughness, Würze und Impulsivität - eine besondere, sehr polarisierende Mixtur, die ich so live noch nicht gesehen und gehört habe. Für mich gehört Miss Wainwright nun auch in die oft erwähnte, musikalisch verzückende Gesellschaft von Zelmani, Melua, Glaser und Co..
Vor die Tür in die kalte Nacht hinaus getreten, vernahm ich nur unberührt - meinen Jackenkragen zur Wärmung hochziehend - noch die letzten bekannten dröhnenden Klänge aus der Freiheit 36 des dort ebenfalls ausklingenden Konzertes "dieser englischen Band" und schritt mit dem freudigen Gefühl, die richtige Wahl, den richtigen Weg für diesen Abend getroffen zu haben, in Richtung S-Bahn, heimwärts....und Wally gebe ich jetzt gedanklich ein Bierchen aus.
(a.j.)
Bilder mit freundlicher Genehmigung von Stephan Velten, V2 Records GmbH