Sophie Zelmani & Band (Nochtspeicher in Hamburg, 27. April 2025)
Süße Melancholie in Gummistiefeln
Ob es tatsächlich Gummistiefel waren, die Sophie Zelmani unter ihrem rötlichen Rüschenkleid und dem Hut trug, darf vom Leser auch gerne als meine trügerische Wahrnehmung aus der Ferne verstanden werden. Eine süße Melancholie verkörperte Zelmani mit ihrer langjährig bestehenden Band an diesem Abend ohne jeden Zweifel!
In Ergänzung zu den damaligen, Augen- und zugleich Herzen-öffnenden, melancholischen Konzerten, die ich u.a. 2004 in Hamburg und auch 2006 in Berlin erleben durfte, kam an diesem Abend eine unerwartet freudige Note mit hinzu – eine ungewohnte Nahbarkeit von Sophie.
Zelmani, inzwischen eine lebenserfahrene Frau in den 50ern, Mutter einer 26jährigen Tochter, zurückgezogene Insulanerin in Schweden, wirkte offener denn je. Wenn sie noch immer Lampenfieber bei ihren Auftritten haben sollte, überspielt sie es nun gekonnt aber dabei authentisch mit Humor und einem direkten Austausch mit dem Publikum (sogar eine Signierstunde mit Selfies fand statt). Das tut ihr sichtlich gut und überträgt sich auch angenehm auf Zuhörer und Beobachter.
Es war ihre und auch meine Premiere im rustikalen Nochtspeicher, direkt am Hafen neben der Reeperbahn. Ich schätze ja immer mehr diese kleinen Stätten, wo Live-Musik noch ganz nah erlebt und gefühlt werden kann; hier war sogar nicht nur Angucken, sondern buchstäblich Anfassen noch möglich.
Das Publikum ist mit Sophie gewachsen. Die Mehrzahl dürfte jenseits der 40 Jahre alt gewesen sein. Ein paar Ältere und wenige Jüngere mischten sich aber auch darunter.
Die ersten Reihen waren bestuhlt, dahinter gab es Stehplätze, die Bar war auf der rechten Seite, ein kleiner Merchandise-Stand (Lake Geneva-Vinyl, 2025: 35 Euro) befand sich hinten zusammen mit der kleinen Technik-Box. Vom Band lief vor dem Konzert, das gegen 19 Uhr startete und dann etwa 100 Minuten dauern sollte, u.a. Madrugada mit This Old House – eine gute Wahl; von wem auch immer getroffen.
Das Konzert war ausverkauft, eine dreistellige Zahl passte in den Raum.
Sophie startete den Abend mit Dreamer. Bereits bei den ersten Klängen kam in mir wieder dieses alte Gefühl von „Zuhause angekommen“ hoch.
Ähnlich wie bei Heather Nova 2025 war ich von der ersten Sekunde an im Fokus, in meiner Mitte und blendete alles um mich rum, insbesondere den Alltag und das Weltgeschehen aus.
Die Band wurde relativ zu Beginn von Sophie herzlich als ihre Familie vorgestellt. Sie bedankte sich bei allen Mitgliedern persönlich für Begleitung und auch Beistand über all die knapp 30 Jahre, insbesondere bei ihrem Produzenten, Ausnahmegitarristen und beistehendem Freund in allen Lebenslagen Lars Halapi; der auch vom Publikum immer wieder mit Liebe empfangen wird.
Sie waren an diesem Abend zu viert, ohne Keyboarder; dieser Part wurde bei einigen Songs von Zelmani und Halapi übernommen.
Es gab neben den bekannten Klassikern auch viel Neues von ihrem aktuellen Album Lake Geneva zu hören. Die einzelnen Songs wurden dabei teilweise auch eingeleitet und nach der Darbietung von Sophie immer mal vorsichtig nachgefragt, ob sie denn auch gefallen haben.
Das Titelstück Lake Geneva beschrieb sie dabei detailliert; widmete sie dieses Stück doch einer Nachbarin, die sowohl ihren Ehemann als auch Schwester kürzlich aufeinander folgend verloren habe. Symbolisch für den Verlust und Kummer und Pate für den Song stand dabei die Skulptur von Albert Gyorgy an eben jenem Genfer See - mit treffenden Namen „Melancholie“. Die Tiefe und Authentizität des Stücks ging einem bis ins Mark. Die traurig gezupften Saiten von Halapi und der von Zelmani vorgetragene tiefsinnige Text verursachten Gänsehaut.
Bei The Human Heart griff Halapi zur E-Gitarre. Mit nahezu perfekter Akustik im Raum (es gab linksseitig auch mal kurz ein ominöses Brummen, das durch ein gut gesetztes Timing jedoch irgendwie für diesen Song fast schon wie platziert wirkte) und bei geschlossenen Augen übertrug sich das Knopfler-Gilmour-artige Spiel Halapis direkt ins Herz.
Den Song Your Garden (meine ich aus der Erinnerung heraus), den sie einer verflossenen Beziehung widmete, beschrieb sie als wunderschöne, künstlerische Hinterlassenschaft.
Die Beziehung endete, der Song bleibt. „At least“ rief es eine Frau aus dem Publikum ihr beipflichtend.
Bei ein paar Songs griff Zelmani auch mal begleitend zur Akustik-Gitarre und erläuterte, dass Halapi ihr immer mal Unterricht gebe oder gegeben habe. Sie selbst beschrieb ihr Spiel sinngemäß als andauernde Mühsal.
Halapi wollte dann ganz weit ausholen und erläutern, dass es nicht immer leicht mit ihr gewesen sei; quasi „impossible“ – er wollte es nicht noch schlimmer ausdrücken und rang vorsichtig nach besänftigenden Worten… Sophie bat ihn neckisch unterbrechend, es nicht weiter auszuführen und stieg ins nächste Stück ein.
In einer wunderschön geschriebenen Rezension des tonspions zum neuen Album Lake Geneva, die ich so unterschreiben kann, las ich von einer Schreibblockade von Zelmani („es schien alles schon gesagt“), die sie erst überwand, als der geduldige Halapi im Studio einmal mit der E-Gitarre experimentiert habe. Danach flossen Melodien und Lyrics quasi wie von selbst.
Den Song Back To The Sea leitete sie sogar mit den Worten ein, dass dieser ihr am meisten Freude beim Schreiben und Einspielen bereitete. Beim ersten Hören war er auch für mich sofort einnehmend.
Überhaupt mag ich ihr neues Werk wirklich gerne und ärgere mich im Nachhinein nun doch ein wenig, dass ich das Vinyl am Merch-Stand nicht gekauft habe. Mich schreckte vor Ort der Preis ab, lag er doch schon fast beim Eintrittsgeld.
Vintage Love (wir haben glaube ich immer alle „Winterschlaf“ verstanden) wurde von einer Dame im Publikum mehrfach gewünscht. Als Sophie beim drittem Aufruf sanft fragend reagierte („are you talking to me?!“), überlegte sie kurz und vertröstete sie auf das nächste Jahr. Wahrscheinlich gehörte er – frisch wie er ist - noch nicht zum eingeübten Live-Repertoire.
Auf Sophies Frage nach Wünschen (sie interessiere es sehr, was die Leute so hören möchten), wurden auch mal weniger bekannte Stück genannt, was Zelmani doch freudig zu überraschen schien.
Mit dem Stück The World Ain´t Pretty (2022) wurde sie tatsächlich sogar ein wenig überrumpelt.
Es folgte eine schöne, minutenlange Szene mit Anekdoten-Potenzial:
Andere Künstler hätten den Wunsch wohl abgewiesen, um schnell mit dem Programm fortzufahren. Zelmani jedoch versuchte sich sichtlich geduldig an die Lyrics zu erinnern; Lars stimmte dabei in Dauerschleife bereits das Gedächtnis unterstützend die ersten Akkorde an; aus dem Publikum kamen als weitere Erinnerungsstütze gemeint die ersten Worte „When you see me in the corner…“, doch auch das griff noch nicht.
Ich habe dann glaube ich das erste Mal das Wort „F**k“ aus Sophies Mund gehört (vielleicht habe ich mich aber auch verhört), als sie suchend zu Lars hinüber blickte – wenn auch ganz vorsichtig, in ihrer charmanten Art natürlich. Die Stirnfalten wurden immer größer. Man hatte fast das Gefühl, Zelmani wolle diese Challenge unbedingt annehmen und diesen Song nun unbedingt spielen. Zeit spielte keine Rolle!
Lars bat das Publikum daraufhin um ein Smartphone und der Google-Suche nach den Lyrics. Eine Dame reichte Sophie prompt ihr Handy, die daraufhin ihre Lesebrille aufsetzte (wo kam die denn so fix her?) und tatsächlich eine längere Suche startete. Vielleicht hat sie aber auch genüsslich in der Bilder-Galerie gestöbert.
Cookies akzeptierend und nach dem Fund der nur deutschen Übersetzung wollte sie dann doch schon abbrechen, als hinter ihr, ich meine vom Drummer, die Lyrics gefunden waren. Es konnte also beginnen.
Der Song fand dabei im Gegensatz zur Studioversion einen schönen, langsamen Aufbau und ging erst später mit der ganzen Band in sein luftiges Spiel über, was mit dem gemeinsamen Gesang des Refrains „The World Ain´t Pretty“ mit dem Publikum dann schon fast wie eine Befreiung wirkte.
Sie entschuldigte den Text-Verlust im Anschluss mit ihrem Alter, Halapi stand ihr bei und erwähnte, dass Zelmani ja nun über 170 Songs (in 14 Alben!) veröffentlicht habe; da gehe schon mal etwas verloren.
Das erklärt nun auch den Notenständer mit den Zetteln (und vermutlich Lyrics) vor ihr.
Was auf jeden Fall gegen dieses Argument „fortschreitendes Alter“ sprach, war die Beobachtung, dass Sophie, anders als früher, nur wenig auf ihrem Hocker saß. Diesen Abend stand sie sogar mehr oder tänzelte sogar leicht, wenn sie das Tamburin schwang.
Der letzte Wunsch-Song Nostalgia war dann ein Selbstgänger.
Sophie selbst trage all die Jahre auch einen ganz persönlichen Wunsch in sich. Sie erklärte, dass sie eigentlich gerne viel mehr für bzw. über ihre Tochter geschrieben hätte. Diese Stücke müssten dann aber eigentlich immer eine freudigere Note erhalten; und das passe nun mal nicht zu dem melancholischen Stil von Sophie Zelmani. Sie spielte daraufhin den Song My Daughter vom Album Soul (2011).
Als zweiten persönlichen Wunsch äußerte sie, dass sie auch gerne mehr Country-Songs wie Dolly Parton spielen würde; immerhin für einen Song habe es bis jetzt gereicht.
Zwischendrin war Zelmani auch zum Scherzen aufgelegt. Am Anfang lud sie noch das Publikum ein, zu tun was immer es wolle, bspw. ein Bier holen oder auf die Toilette zu gehen; dieses persönliche Bedürfnis habe sie selbst auch schon einmal gehabt.
Im späteren Verlauf erwähnte sie, dass sie Deutschland sehr liebe und hier am liebsten toure; nach einer kurzen Denkpause begründete sie es mit den Raststätten auf der Autobahn, wo man Bier kaufen könne und saubere Toiletten vorfinde. Es gab Gelächter im Publikum.
Die neuen und die weniger (gewünschten) bekannten Songs wurden am Abend von vertrauten Klassikern ummantelt, um die Seele zu wärmen. U.a. dabei Happier Man (hier fehlten mir allerdings tatsächlich die gewohnten Bläser der Studioversion), das sanft treibende und stets positiv stimmende Going Home, das andalusisch angehauchte So Long (mit diesem ikonischen, Plektrum-freien Wischen der Händen auf den Saiten!!!), einer meiner Lieblinge I Can´t Change (bei dem sich Zelmani kurz vor Schluss von den Gästen und der Bühne verabschiedete) und natürlich das legendäre, melancholisch schwere, ihrer Schwester gewidmete Oh Dear (das laut Zelmani einfach in die Setlist gehöre!).
Bei Oh Dear gab es eine weitere wundervolle Szene, die bei mir nachwirkt: Vor dem bekannten Solo von Halapi, das jedes Mal ein wenig anders gespielt wird und ihn ein ums andere Mal als Ausnahmegitarristen - der er ist! - auszeichnet, setzte sich Sophie als Zuschauerin rechts an den Bühnenrand und lauschte - wie wir alle - bedächtig seinem Spiel. Sie überließ Halapi die verdiente Bühne – eine wunderschöne Geste!
Ich hätte sie und diesen Moment sehr gerne mit der Kamera eingefangen, wollte es dann aber einfach nur auf mich wirken lassen und genießen. Ich wechselte immer mit dem Blick von Halapis Gitarre zu Sophies Gesicht. Ich bekomme gerade tatsächlich beim Schreiben wieder Gänsehaut.
Die lang anhaltenden und tiefen Blicke die Zelmani das Konzert über mit ihrem Publikum austauschte, wirkten zudem sehr vertraut. Sie scheint sich mit ihren Gästen, den Wertschätzern ihrer Musik mittlerweile sehr wohl zu fühlen.
In Berlin (2006) reichte sie noch eine Art Tour-Poesie-Album im Publikum rum, in das man sich eintrage konnte. Sie suchte also schon damals den Kontakt, lebt ihn jetzt aber gefühlt noch mehr und auch persönlicher aus, so scheint es.
Es gab vor der Verbeugung unter tosendem Applaus noch zwei Zugaben und den Hinweis auf das anschließende Treffen am Merch-Stand. Im Anschluss schüttelte Sophie sogar noch ein paar Hände im Publikum.
Natürlich konnten auch diesen Abend nicht wieder alle Klassiker gespielt werden; es gibt einfach so viele schöne Songs von ihr (wie bspw. Precious Burden). Zum Glück sind aber alle ihre Alben ganz fein von Halapi produziert (für mich stets ein Maßstab auf dem Musik-Markt) und man erhält dieses Zelmani-Gefühl auch Daheim von den Boxen oder aus dem Kopfhörer. Mit dem Live in China-Album aus dem Jahr 2023 gibt es ja nun auch endlich ein Live-Album von ihr für Zuhause.
Es war mal wieder – wie nicht anders zu erwarten - ein wunderschöner Abend. Klar ist, dass der allererste Kontakt mit Sophie Zelmani und ihrer Musik, damals 2004 im Logo, dieses Momentum der ersten Erfahrung, nie wiederholt werden kann und für mich persönlich ewig nachklingt.
Ihre Konzerte zu besuchen, wirkt aber auch nie wie eine Wiederholung, sondern ist jedes Mal wie ein Besuch alter Freunde, die etwas Neues zu erzählen haben; immer verbunden mit diesem vertrauten Gefühl und schönen Erinnerungen, die einem Lebensenergie schenken; nachhaltig!
Nach Heather Nova schon die zweite Erfahrung dieser Art in 2025.
In Zeiten in denen gerade Melancholie Trost spenden kann, ist jemand wie Sophie Zelmani unverzichtbar!
(a.j.)
Ward Ihr auch bei dem Konzert? Dann lasst uns gerne Eure Eindrücke wissen und schreibt etwas im Kommentar-Bereich - wir würden uns freuen!