Ryan Adams (Laeiszhalle, großer Saal in Hamburg am 22. März 2025)

Ein Foto, leicht diffus wie der Abend

Willkommen im Wohnzimmer des Ryan Adams!

 

Mit einer gewissen Erwartungshaltung, einer Einstellung nach dem Motto „alles kann passieren!“, sind wir zu Ryan Adams' einzigen Auftritt in Deutschland in die wunderschöne Laeiszhalle nach Hamburg gereist.

 

Ich persönlich habe ja immer Angst, dass ich mir Künstler, deren Alben und Songs ich sehr schätze, nach Konzerten irgendwie zerstören könnte. Mein Gefühl, eigentlich meine Paranoia ist da bei Ryan Adams sehr ausgeprägt.

 

Unbegründet? Wir werden sehen…

 

Seit Anfang des neuen Jahrtausends verfolge ich Adams, liebe insbesondere seine alten Songs; beginnend mit der frühen Whiskeytown-Phase, über sein erstes Solo-Album Heartbreaker vor 25 Jahren (das Motto seiner Tour) und natürlich hin zum fantastischen Jahrtausend-Album Gold (2001). Für mich persönlich seine beste Zeit, was die Ausbeutung nahtlos guter Songs angeht.

 

La Cienega Just Smiled war mein persönlicher „Earcatcher“ - damals noch auf einer beiligenden CD des Rolling Stone-Magazins und in in einer Szene der Serie Alias - Die Agentin wohl platziert. Adams hat es mit seinem Wirken sogar ins Logo des Lone Reviewers gebracht; ich habe mich da mal als grobschlächtiger Zeichner versucht.

 

Es folgten Jahre des stilistischen Ausprobierens (auch Metal war dabei!). Seine Cover-Versionen erhalten fast immer eine Aufwertung – bspw. Oasis´ Wonderwall, Taylor Swifts Album 1989 im genialen Adams-Gewand.

 

Seinen Auftritt mit seiner damals geformten Band The Cardinals im Hamburger Docks vor zig Jahren habe ich mitgenommen (wenn er kommt, bin ich eigentlich da); ich liebe aber sein Solo-Dasein. Daher hatte ich mich nun wirklich sehr auf diesen akustischen Auftritt in dieser klangvollen Halle gefreut. Paranoia hin oder her.

 

"Wo sind die Johanneskraut-Pillen, wenn man sie braucht?!?"

 

 

Adams hat viel erlebt und musste durch einige Täler gehen. #MeToo hat ihn sicherlich ordentlich zurückgeworfen; viele hatten sich von ihm abgewandt. Mit Einsicht, Selbstreflexion und einer öffentlichen Entschuldigung und dem Hinweis auf Therapie hat er sich jedoch gefangen. Ein eigenes Label führt er bereits seit Langem; ist seitdem nicht mehr so angewiesen auf Barracudas im Musik-Business (siehe die Story zum Album Rock N Roll, 2003), aber schon noch auf das Wohlwollen von Promotern, Eventfirmen, Medien und ganz besonders das seiner Fans.

 

Viele sind ihm treu geblieben; trennen vielleicht sogar Person und Musik. Ich kann das manchmal schwer, aber sehe den Sinn in zweiten Chancen.

 

Auf YouTube und anderen Kanälen gibt Adams sich sehr privat; insbesondere sind die tollen Sessions zur Corona-Zeit sehr zu empfehlen; hier interpretierte er alte Songs neu oder werkelte an Neuem rum. Man durfte live teilhaben.

 

Ebenso sollte man diesen ausverkauften Konzertabend dann wohl auch – im Nachhinein - bewerten: Wir durften alle live dabei sein, wenn Adams sich ausprobiert und einfach ER ist. Knapp 100 Minuten lang.

 

Wer Ryan Adams vorher nicht genau kannte, durfte von dem Auftritt vielleicht aber ein wenig irritiert gewesen sein. Da konnten die 100 Minuten für den einen oder anderen dann auch durchaus lang gewirkt haben und zu einem psychologischen Eignungstest mutiert sein.

 

 

Bühnenstück in mehreren Akten

 

Schon bei seinem ersten Song an der Akustik-Gitarre To Be Young (Is To Be Sad, Is To Be High) unterbrach Adams (im gruseligen Halloween-Shirt), um die anwesenden, professionellen Fotografen direkt auf die Bühne zu bitten.

 

Dazu muss man wissen: Adams leidet unter Einschränkungen, die sich sowohl was Licht als auch Lärm angehen, auf ihn auswirken. Blitz- und Autofokus-Lichter können da Hindernisse sein.

 

Die ganze Aktion zog sich leider etwas länger hin. Zu lang, da es gleich zu Beginn war. Aber ich kann es persönlich auch nachvollziehen, wenn man eingeschränkt ist und möglichst beste Voraussetzungen benötigt, um abzuliefern. Sich in Künstler, Menschen hineinzuversetzen, kann sehr helfen (siehe Lewis Capaldi). Wenn ich Referate vor einer Menge halten muss, habe auch ich jedes Mal innere Dämonen dabei, die hinderlich sein können.

 

Mit dem Wissen um Adams' Episoden und einem voreingestellten Sensor, musste aber auch ich enorm schlucken, als er bei dem 2. Song My Winding Wheel eine wohl falsch gestimmte Gitarre völlig unerwartet, wütend nach hinten warf; gefolgt von einem lauten Knall auf dem Bühnenboden, der laut bis zu den oberen Rängen hallen durfte. Ob er er das auch mit seiner Lieblingsgitarre (die in den französischen Flaggen-Farben), die ihn Jahrzehnte begleitet, getan hätte?!

 

Genau dieser Moment – fast ein Momentum - war es dann auch, der die Stimmung – zumindest für mich (ebenfalls sehr sensibel) – für den Rest des Konzertes zum Kippen brachte. Ich konnte mir ab den Moment nie wirklich sicher sein, ob nicht bei den folgenden Songs ebenfalls „Dinge“ passieren würden. Was geschieht heute Abend noch? Geht er gleich einfach weg? Der Genuss litt fortan ein wenig. Ich weiß nicht, wie es den anderen Zuschauern erging.

 

Einige Aktionen wurden beklatscht, es gab hier und da Lachen oder Rufe, die ihm wohl Mut zusprechen sollten. Einige feierten tatsächlich sogar diese Marotten (ich habe so etwas schon einmal bei einem Bob Dylan-Konzert wahrgenommen). Das ist dann schon eine besondere Fanliebe. Es herrschte eine sehr diffuse Atmosphäre im Saal. Es knisterte.

 

Aber es ging zum Glück weiter…

 

Wenn man sich dann doch auf das Konzert mental eingelassen hatte, wurde es tatsächlich besser und gut. So wie ein David Lynch-Film.

 

Es gab noch weitere Momente, die dem roten Faden folgten; so schob Adams die Monitor-Box leicht genervt von sich weg, die Mundharmonika versagte (ausgerechnet bei Oh My Sweet Carolina). Er klopfte sie ständig auf dem Tisch aus. Gitarren mussten auf der Bühne oder im Background oft neu gestimmt werden. Sein Roadie - mit dem er viel im Austausch war - hatte viel zu tun.

 

Adams wirkte auch ein wenig angeschlagen; er schnäuzte sich mehrmals vor unseren Augen, sprach oft zu sich selbst und machte hier und da auch Gesten der Unzufriedenheit.

 

So sehr man vielleicht den Eindruck gewinnen konnte, er spule hier nur sein Programm runter (er wechselte oftmals gehetzt wirkend zwischen Piano und Gitarren und seinem Song-Buch, das vor ihm ausgebreitet lag); den einzelnen Songs gab er sehr wohl Raum, Zeit und Tiefe.

 

Er hat den Songs an der Gitarre oder auch am Piano (sehr gut die Version von New York, New York) neues Leben eingehaucht, viel neu arrangiert und eben – live auf der Bühne - ausprobiert. So wie in seinen oben angesprochenen Streams aus dem Wohnzimmer. Das ganze Set wirkte mit seiner Komposition (u.a. Lampenschirme) auch als eben solches.

 

Vielleicht hätte man den Abend genau so anpreisen sollen, um sich vorab mental einzustellen.:"Willkommen im Wohnzimmer und dem Leben von Ryan Adams - erwarten Sie das Unerwartete!" - oder so.

 

Der Abend wurde tatsächlich immer besser und auch Adams schien sich nun etwas wohler zu fühlen; das übertrug sich auch auf das Publikum - glaube ich.

 

Die Leute verließen jedenfalls nicht den Saal.

 

Mit der Stimme hat er ebenfalls viel probiert, viele Passagen gestreckt und variiert. Mal sanft, mal energiegeladen. Das fand ich klasse! Zu Genüge werden ja Konzerte bemängelt, bei denen die Songs 1:1 wie auf Platte klingen – das war diesen Abend mitnichten so. Man bekam auf jeden Fall etwas geboten, was man Zuhause nicht schon hat.

 

Bei Shakedown On 9th Street und Gimme Something Good (eigentlich prädestinierte Band-Songs) holte er mit akustischen Gitarrenspiel und Stimme alles aus den Songs raus.

 

Bekannte erste Töne wurden nun beklatscht oder bejubelt (bspw. Dear Chicago).

 

Sich auf den Abend und seine Songs - nach der anfänglichen Eskapade - emotional einzulassen, war nun jedermanns eigene schwere, auferlegte Aufgabe. Ryan Adams zu besuchen, bedeutet innere Mitarbeit.

 

Adams selbst lieferte nun jedenfalls ab. Ob der Funke bei allen im Saal übergesprungen ist, ist eine interessante Frage. Vielleicht schreibt es hier unten ja mal jemand - der auch vor Ort zugegen war - in den Kommentaren nieder. Es würde mich doch sehr interessieren.

 

Adams witzelte nun auch ein wenig rum. Bspw. unterbrach er einen Song, um kurz an dem Wasserglas zu nippen. Sowas lockert dann auch mal auf.

 

Ich persönlich war insbesondere dann besänftigt, als er La Cienega Just Smiled spielte (zum Glück auch ohne irgendwelche Vorkommnisse).

 

Nach einem schönen Bob Dylan-Cover am Piano (The Man In Me) und vor seinem letzten Song When The Stars Go Blue an der Gitarre, zog er sich seine Jeans-Jacke an, die er zu Beginn auf einen Kleiderständer neben dem Piano aufgehangen hatte.

 

Es war irgendwie klar, dass das der Schluss-Akkord sein werden würde.

 

Nach Standing Ovations und einem sichtlich erleichterten aber auch wohlwollenden und dankbaren Adams (er winkte in alle Richtungen, verbeugte sich und sah die Leute dabei auch direkt an), war es dann vorbei. Es gab keine Zugabe mehr.

 

Vielleicht auch gut so; wir wollen den Bogen ja nicht überspannen! "Don´t screw it (more) up!"

 

 

Im Nachgang stellte sich mir die Frage, warum das kleine Drumset nicht zum Einsatz kam. Eine E-Gitarre wurde wohl auch gesichtet (?); die arme, rote Gitarre sah man jedenfalls nie wieder. Lebt sie noch? Kommt sie später ins Museum oder landet sie im heimischen Kamin?

 

Ich schätze Ryan Adams wirklich sehr! Ich liebe seine Songs, insbesondere die, die mich durch so manche Lebenssituationen gebracht und immer eine Stütze für mich waren; das schaffen nicht viele Künstler mit ihrem Werk bei mir.

 

Er hat ein gutes Händchen für Seelentröster; eine Songwriter-Gabe und bei mir sowieso einen äußerst dicken Stein im Brett. Ich bin ihm nicht schnell böse.

 

Wie sagte mein Kumpel (der, mit dem ich da war): „Die müssen wohl alle irgendwie Macken haben, um so große Musik machen zu können!“

 

Parallelen zu musikalischen aber verschrobenen Genies wie Van MorrisonRitchie BlackmoreBob Dylan kamen gedanklich auf. Die haben alle irgendwie einen Hau weg und kreieren dabei Songs für Universen und ihre Ewigkeit. Ryan Adams darf man hier gerne guten Herzens einreihen.

 

Live mit ihm Zeit zu verbringen kann immer wieder ein Fieber-Traum sein, auf den man sich vorbereiten muss oder kann oder eben auch nicht!

 

Sollte Adams auch dem grandiosen Album Gold (2001) eine Jubiläums-Tour gönnen, muss ich es fortan auch von meiner mentalen Verfassung und Tagesform abhängig machen. Das Potenzial, dass es wie bei einer Teilchenbeschleunigung durchaus knallen kann, wenn wir beide aufeinander treffen, ist gegeben ;)

 

Ich bin froh, dass es ihn und seine Musik gibt!

 

(a.j.)

 

 

Setlist (ohne Gewähr!):

 

https://www.setlist.fm/setlist/ryan-adams/2025/laeiszhallegrosser-saal-hamburg-germany-4b5f2356.html

 

Schickere Bilder findet Ihr hier:

 

https://www.instagram.com/soundsandbooks/p/DHiTYuHNWA7/?img_index=5

 

 
Ward Ihr auch bei dem Konzert? Dann lasst uns gerne Eure Eindrücke wissen und schreibt etwas im Kommentar-Bereich - wir würden uns freuen!
 

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